Ein Wochenende auf der Leine

 

An einem Wochenende wollten wir auf der Leine paddeln, ein Stück, das wir noch nicht kennen, zwei Tage mit Übernachtung in Hannover. Soweit die Rahmenbedingungen. Als Übernachtungsquartier haben wir aus strategischen Gründen das Bootshaus des Paddelklubs Hannover (PKH) ins Auge gefasst. Strategisch deshalb, weil es dort direkt im Bootshaus eine Vereinsgastronomie gibt und mannigfaltige kulinarische Alternativen fußläufig erreichbar sind. Ach ja, geeignete Paddelstrecken gibt es oberhalb und unterhalb auch, so dass wir samstags zum Verein hin paddeln und sonntags von dort starten können.

 

Die Anfrage beim PKH ergab ein einladendes „ja, ihr könnt gerne kommen“. Perfekt, am 01. und 02. April 2023 ging es los. Die Boote haben es schon Freitagnachmittag auf mein Auto geschafft, sodass wir uns am Samstag um 10:00 Uhr direkt beim PKH treffen wollen. Dort sind wir auch mit meinem Kontakt Karen verabredet, die uns den Schlüssel geben wird und uns alles zeigen will. Ich bin bereits eine Viertelstunde früher da, bekomme von Karen drei Schlüssel für uns alle und eine Führung durch das aus unserer Perspektive riesige Bootshaus. Jan und Dennis treffen pünktlich um 10:00 Uhr ein, da sind schon alle Formalitäten erledigt. Wir laden alles Gepäck, das wir nicht zum Paddeln benötigen, in das Auto, das beim PKH stehen bleibt und fahren mit meinem Auto und den Booten zu unserem heutige Startpunkt Gronau an der Leine (ca.41km Paddelstrecke).

 

Der Wetterbericht ist eher mäßig, im Moment ist es aber noch trocken. Mit dem Auto geht es durch leicht hügeliges Land, in der Ferne sehen wir die Hänge des Deisters. Dummerweise hängen in den Hängen einige Regenwolken – mal schauen, was der Tag noch so bringt. In Gronau gibt es eine brauchbare Einstiegsstelle und der Fluss führt ordentlich Wasser. Das haben wir auch schon in Hannover bemerkt, die Fahrt verspricht durchaus flott zu werden. Wir beginnen im Wehr-Arm von Gronau. Als der Mühlen-Arm von links wieder dazu kommt, merken wir erst, wie viel Dampf die Strömung bei diesen Bedingungen tatsächlich hat.

 

An der ersten Brücke irritiert uns ein Schild, das vor Lebensgefahr wegen einer Sohlschwelle warnt. Zu sehen ist aber nichts – muss wohl überspült sein. Kurze Zeit später folgt noch ein solches Schild, ebenfalls ohne sichtbaren Effekt. Das dritte Schild nehmen wir schon nicht mehr ernst, bis hinter der Kurve tatsächlich eine große Sohlgleite zu sehen und durch massives Rauschen zu hören ist. Wir fahren erst einmal links ins Kehrwasser und beratschlagen. Sieht auf Sicht gut fahrbar aus, kommt uns von der Größe her aus der Heimat bekannt vor (Huntlosen auf der Hunte), nur mit ein bisschen mehr Wasser und Wellen. Da wir das Ding nicht kennen und ich mit dem GFK Boot nicht unbedingt irgendwelche Steine rammen möchte, steigt Jan aus und schaut sich das vom Ufer aus an: Steine sind nicht zu sehen, nur Wellen. Und unten kann man auch gar nicht gut wieder einsteigen. Wir vereinbaren: Ich teste und gebe Handzeichen. Daumen hoch rechts heißt problemlos, winken nach links heißt aussteigen. Ich fahre problemlos, gebe Daumen noch oben und die anderen beiden folgen.

 

Laut einer allseits beliebten Wassersportkarte eines namhaften Verlags folgen heute nur noch zwei Wehre, sonst keine weiteren aufregenden Stellen mehr. Der Fluss ist schön und die Landschaft ansprechend. Wir sehen allerlei Getier (Gänse, Störche, Rehe, …) und mehr oder minder berühmte Architektur (Burg Poppenburg (unbekannt), Schloss Marienburg (bekannt), später noch eine alte Steinbrücke (schon mal mit dem Auto drübergefahren)). Vorbei an einer Zuckerfabrik (aha, hier kommt das Zeug also her) nähern wir uns dem Ort Schulenburg, wo sich das erste Wehr heute befinden soll.

 

Laut besagter allseits beliebter Karte soll man kurz vor dem Wehr links aussteigen und umtragen können. Bei Hochwasser sollte man etwas eher aussteigen. Anhand der Abzweigung des Mühlen-Arms und des Turbinenhauses können wir erkennen, wo sich das Wehr befindet, weitere Hinweise am Fluss sehen wir keine. Sicherheitshalber steigen wir frühzeitig links aus, mit Balance bzw. mit nassen Füßen. Das Wehr entpuppt sich als eins der hässlichen Sorte: ca. 3m Fallhöhe, Wellenbrecher und Betonplatte. Auch wenn man tatsächlich kurz vorher noch links aussteigen könnte, sind wir froh, bei diesem Wasserstand auf Nummer sicher gegangen zu sein. Runterzufahren erscheint bei dem Ding als sehr ungesund. Wir nutzen die Umtrage als kleine Pause und heben anschließend die Kajaks unmittelbar am Wehr die steile Böschung herunter, um wieder einzusteigen.

 

Weiter geht es an ansprechender Landschaft und Architektur (siehe oben) vorbei in Richtung Hannover. Von der Großstadt selbst bekommen wir bis zum nächsten Wehr in Hannover Döhren fast nichts mit. Rund um die Leine gibt es in Hannover erstaunlich viel Grünland. Die Umtragestelle in Döhren (genannt „der Wasserfall“) habe ich mir zwei Wochen vorher bei einer Fahrradtour angesehen: ein schöner Anleger linksseitig, allerdings voll in der Strömung. 50m dahinter links befindet sich ein Schrägwehr mit heftiger Welle, geradeaus weiter geht es mit Zug zur Turbine. Das verpassen des Anlegers wäre ungünstig, daher drehen wir frühzeitig bei, tasten uns langsam heran und steigen nacheinander aus. Vom Unterwasser aus betrachtet sieht das Wehr allerdings fahrbar aus, vielleicht sollten wir nochmal mit anderen Booten herkommen…

 

Wenige hundert Meter nach dem Wiedereinstieg liegt das Bootshaus des PKH, unser heutiges Etappenziel. Auch hier liegt der Anleger voll in der Strömung bei ca. 5 km/h Fließgeschwindigkeit, was ein wenig Umsicht erfordert. Als wir alle drei wohlbehalten mit unseren Booten an Land sind, begrüßt uns jemand vom PKH, der zufällig vor Ort ist. Eigentlich müssten wir jetzt unsere Zelte aufbauen, aber da es just in diesem Moment das erste Mal ernsthaft anfängt zu regnen, dürfen wir kurzerhand im Bootshaus übernachten – welch ein Luxus, vielen Dank an den PKH! Somit müssen wir nur noch mein Auto nachholen und gleich für die morgige Etappe nach Schloss Ricklingen fahren, was uns nochmal ca. zwei Stunden kostet.

 

Kurz nach 20:00 Uhr sind wir wieder am PKH , richten unser Nachlager ein und begeben uns ein Stockwerk tiefer zur Vereinsgastronomie. Auf die Frage hin, ob wir noch etwas zu essen bekommen, kommt ein fröhliches „natürlich“, wir mögen nur möglichst das gleiche bestellen. Ein kurzer Blick in die Karte führt zu der Bestellung „Schnitzel“, „Schnitzel“, „Schnitzel“. Kurz drauf hören wir aus der Küche ein charakteristisches Klopfen: Hier ist noch Handarbeit bei den Schnitzeln angesagt. Es schmeckt vorzüglich und wir begeben uns einigermaßen erschöpft zur Nachtruhe. Mit der Nachtruhe ist das so eine Sache, über etwaige Schnarchgeräusche hält dieser Tourenbericht Stillschweigen.

 

Am Sonntagmorgen ist es etwas kühler geworden, trotzdem frühstücken wir draußen. Anschließend packen wir zusammen, laden das Gepäck ins Auto und bringen die Boote zum Wasser. Der Wasserstand ist über Nacht noch ein paar Zentimeter gestiegen. Heute stehen bei ca. 34km Paddelstrecke wieder zwei Wehre auf dem Programm, sonst keine Schwierigkeiten. Unmittelbar am Südende des Maschsees passieren wir das Bootshaus des RSV Hannover. Dort befindet sich eine Bootsrutsche mit Rollen vom Balkon des Bootshauses bis zum Wasser (wollen wir auch!). Ungefähr an der Mitte des Maschsees erreichen wir das erste Wehr. Die Leine fließt geradeaus weiter, nach links zweigt mit dem Wehr der Schnelle Graben ab, der nach wenigen hundert Metern mit der Ihme zusammenfließt, die wiederum nach einigen Kilometern in die Leine mündet. Die Weiterfahrt geradeaus über die Leine wäre auch möglich, im Sommer bei weniger Wasser und Strömung kann hier ein Rundkurs gepaddelt werden. An der Leine befindet sich aber eine lange Umtragestelle, und für die dort künstlich neu geschaffene „Leinewelle“ haben wir wieder die falschen Boote dabei…

 

Wir wollen daher nach links in den Schnellen Graben umtragen. Durch die Erfahrung an den Wehren gestern tasten wir uns vorsichtig heran, die Umtragestelle direkt vor dem Wehr entpuppt sich aber als harmlos, das Wasser geht komplett durch die Turbinen und das Wehr ist trocken. Weiter geht es auf dem Schnellen Graben und der Ihme durch das Zentrum Hannovers. Wir passieren die Heimat unseres Landeskanuverbandes, das Stadion von Hannover 96 und das Ihme-Zentrum, ein riesiges Wohn-, Büro- und Einkaufszentrum, das uns verdächtig an ein berüchtigtes Viertel in unserer Heimatstadt erinnert. Auffällig ist, dass mitten in der Stadt sehr viele Bäume am Ufer angenagt sind: Biberspuren mitten in der Stadt. Betroffen sind dabei nicht die kleinen Bäume, sondern auffallend oft alte Weidenbäume ab Stammdurchmesser 1m. Muss wohl am Stadtklima liegen. Viele Bäume sind daher mit Draht umwickelt und es scheint eine regelrechte Challenge zu geben zwischen Stadtgrünflächenamt und Biber. In diesem Fall (siehe Foto) gewinnt das Stadtgrünflächenamt.

 

Nach der Wiedervereinigung mit der Leine beginnt die Staustrecke vor dem Wehr in Herrenhausen. Hier gibt es sogar eine Wasserskistrecke. Dies erscheint auf den ersten Blick erstaunlich, allerdings gibt es über den Leineabstiegskanal, eine Schleuse und den Zweigkanal Hannover-Linden eine schiffbare Verbindung zum Mittellandkanal und damit zum Nordwestdeutschen Kanalnetz. Am Wehr zweigt die Leine nach rechts ab. Wir paddeln geradeaus weiter in den Leineabstiegskanal. Nach ca. einem Kilometer steigen wir kurz vor der Schleuse rechts aus, um von dort ins Unterwasser der Leine umzutragen. Die Gelegenheit nutzen wir für eine kleine Pause.

 

Die Einstiegsstelle in der Leine entpuppt sich bei diesem Wasserstand als etwas herausfordernd (hohes und matschiges Ufer, Strömung), wir schaffen es aber alle drei trocken in die Boote. Der Rest der Etappe ist frei fließend, kurvenreich, strömungsreich und zunehmend ländlicher. An der Trogbrücke des Mittellandkanals machen wir eine weitere Pause, um zu gucken. Mittlerweile ist sogar die Sonne durchgekommen und es wird angenehm warm unter den Paddeljacken. Nach der Brücke der A2 kommt langsam unser Ziel in Sicht, das Schloss von Schloss Ricklingen. Die dortige Ausstiegsstelle, in der allseits beliebten Karte eines namhaften Verlags als eine solche gekennzeichnet, entpuppt sich bei diesem Wasserstand als völlig ungeeignet. Wir klettern daher etwas vorher am anderen Ufer aus den Booten und ziehen diese die zwei Meter hohe Böschung hinauf auf eine Wiese. Ich hole das gestern abgestellte Auto aus dem Ort, wir laden und machen uns auf zurück zum PKH, um Jan zu seinem Auto zurückzubringen.

 

In der Summe war es eine wunderschöne Tour, die sicher auch mal bei wärmerem Wetter und grüneren Ufern Reizvoll ist.